Wir müssen ein realistisches Berufsbild vermitteln.

Maßnahmen gegen Lehrermangel – Universität Kassel sieht sich gut aufgestellt

Kassel – Mehr als die Hälfte der Menschen, die Lehramt studiert haben, startet nicht in den Beruf oder gibt innerhalb der ersten fünf Jahre auf. Das zeigen aktuelle Studien. Liegen die Probleme schon in der Vorbereitung? Die Kultusministerkonferenz hat nun als Reaktion auf den Lehrkräftemangel Maßnahmen verabredet. Die meisten beschäftigen sich mit der Optimierung von Studium und Einstieg potenzieller Lehrer.

Das ist vor allem für die Universität Kassel interessant, wo ein Fünftel aller Studierenden Lehrer werden möchte. Prof. Dr. Dorit Bosse ist die Vorsitzende des Zentrums für Lehrerbildung in Kassel und mit über 30 Jahren Erfahrung Expertin für die Ausbildung von angehenden Lehrern. „Lehramtsstudenten sind eine ganz besondere Spezies von jungen Menschen, denn sie wählen den Beruf, den sie aus der Schulzeit vermeintlich am besten kennen.“ Dass dieser hinter den Kulissen aber ein ganz anderer ist, falle erst im Studium auf. Dazu gehören neben dem Unterrichten auch Schulentwicklung, Verwaltung und weitere Aufgaben, die Studienbeginner meist unterschätzen würden. Den Studenten solle deshalb schnell ein „realistisches Berufsbild“ aufgezeigt werden, um falsche Scheingewissheiten frühzeitig aufzudecken.

Lehr-Lern-Labore

Vielen Studierenden würde mehr Praxis im Studium helfen. „Das Lehramtsstudium in Kassel ist berufs- und praxisorientierter als an vielen anderen Hochschulstandorten bundesweit“, sagt Bosse. Praxis sei nicht nur das Unterrichten vor der Klasse. Auch in der Uni müsse vorbildhaft gelehrt werden. Eine Möglichkeit sind Lehr-Lern-Labore, in denen Studierende mit kleinen Schülergruppen kurze Stunden in der Universität erproben.

Praxissemester

Eine weitere Besonderheit ist das Praxissemester, das es nicht überall in Deutschland gibt. Ein Semester verbringen Kasseler Studierende an einer Schule. Allerdings mahnt Bosse: „Das kann aus Qualitätsgründen nicht gleich in den ersten Semestern stattfinden, das hat für die Studierende und für die Schüler keinen Sinn.“

Masterförderung

Dem Mangel in den Mint-Fächern wird mit Schnupperstudien oder Schülerlaboren aktiv entgegengetreten, um bereits Schülern ein Lehramtsstudium nahezubringen. Für Berufsschulen, an denen Lehrer insbesondere in den Bereichen Metall und Elektro fehlen würden, gäbe es die Masterförderung. Für ein Gehalt von etwas über 1000 Euro besuchen reguläre Masterstudenten aus diesen Bereichen nebenbei eine Berufsschule und werden, praktisch angeleitet, zum Unterrichten geführt.

Bosse ist gegen eine Verkürzung des theorielastigen Studiums: „Die Qualität des Lehramtsstudiums wird durch einen längeren Aufenthalt an der Universität gesteigert.“ Es sei nicht der richtige Weg, Studenten unqualifiziert auf Schüler loszulassen. Die Zeit solle nicht als theoretische Qual angesehen werden: „Das Studium soll den Spaß am Beruf lassen und nicht nehmen.“

Die Qualität des Kasseler Lehramtsstudiums sei durch die Besetzung aller Fächer mit einer Fachdidaktikprofessur gesichert. So werde von Anfang an didaktisch gedacht und gelehrt. Außerdem ist die Universität für die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern ausgewählt worden. Mit dem Konzept „Professionalisierung durch Vernetzung“ gebe es eine Förderung von etwa zwölf Millionen Euro für die Lehrerbildung.

Bosse appelliert an die angehenden Lehrer, mutig und engagiert zu sein. Innovative Konzepte gebe es in der Region Kassel ausreichend, etwa an der Reformschule in Kassel oder der Georg-August-Zinn-Schule in Gudensberg. Bosse rät: „Wenn ihr Lust auf den Lehrerberuf habt, dann geht dort hin und schaut euch an, wie Lernen und Lehren funktionieren kann.“

Quellenangabe: Hessische Allgemeine (Kassel-Mitte) vom 02.05.2023, Seite 6

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