Theater-AG führte auf: Rosenkrantz und Guildenstern sind tot.

Da sitzen zwei auf der Bühne und werfen Münzen. „Kopf“, ein ums andere Mal. 95 Mal hintereinander. Kann das noch Zufall sein?

Der eine von den beiden, Guildenstern – wie sich herausstellt (obwohl in dem Stück die beiden Namen und Identitäten öfter durcheinander geraten) – hält dies für außerordentlich, so außerhalb jeder Ordnung, dass er sogar am Schicksal zweifelt, zumindest aber an der Wahrscheinlichkeitshypothese, nicht weil er es ist, der dauernd verliert – auch das ist ärgerlich -, sondern weil es seine Weltanschauung in Frage stellt, ihn zutiefst verunsichert, ängstigt. „Wir sind mit einem Male aus der Zeit gefallen“, ist schließlich seine Schlussfolgerung.

Man bemerkt: Was da so clownesk daherkommt – die Zuschauer amüsierten sich köstlich über den zufriedenen, triumphatorischen Gesichtsausdruck von Rosenkrantz – ist keine Komödie, sondern der Beginn einer zwar durch Gags entlasteten, aber letztendlich alles andere als komischen Tragödie.

Ein gewagter Versuch, einen modernen Klassiker von diesem Format aufzuführen. Tom Stoppard, Sohn von tschechischen Exilanten, schrieb sein Stück „Rosenkrantz and Guildenstern Are Dead“ im Jahre 1967, also gut 25 Jahre nach der Flucht seiner Familie vor Hitlers Truppen. Die drei Aufführungen vom 9.-11. Juni in der Turnhalle der Reformschule Kassel wurden trotz der Weltmeisterschaft gut besucht.

Die stark gekürzte Adaption von Tom Stoppards Stück „Rosenkrantz und Güldenstern sind tot“ war stark angereichert durch einige zusätzliche Passagen aus „Hamlet“, um mehr Schauspieler und Schauspielerinnen zum Zuge kommen zu lassen, aber auch um die eigentliche Handlung etwas durchsichtiger zu machen – denn Tom Stoppards Stück setzt die Kenntnis von Shakespeares Vorlage voraus.

Worum geht es in dem Stück? Im Grunde baut die Handlung auf einer perspektivischen Umformung des „Hamlets“ von William Shakespeare auf. Nicht der tragische Prinz von Dänemark steht im Mittelpunkt der Handlung, sondern zwei Charaktere, die in der shakespeareschen Vorlage Nebenchargen sind: Zwei Freunde aus Deutschland, die als ehemalige Studienfreunde zu Hofe gebeten werden. Es ist aber nicht Hamlet, sondern der neue König Claudius, der sie holen lässt, Claudius der Mörder (und Bruder) von Hamlets Vater. Es ist ein abgefeimter Schachzug in einem intriganten Spiel: Rosenkrantz und Guildenstern sollen als Spione eingesetzt werden. Denn Claudius plagt die Frage, ob Hamlet, der sich äußerst merkwürdig, ja, wahnsinnig verhält, ob dieser Hamlet weiß, was geschehen ist.

Wie sollte der es nicht wissen! Denn der mörderische Bruder heiratet schnell die Königin, Hamlets Mutter, und verschafft sich auf diese Weise den Thron, der eigentlich Hamlet zustünde. Da müsste man schon blind sein, um die Wahrheit nicht zu ahnen.

Rosenkrantz und Guildenstern geraten auf diese Weise zwischen die feindlichen Fronten und werden dazwischen zerrieben: Denn Hamlet riecht den Braten, ahnt, dass die beiden geholt worden sind, um ihn auszuspionieren – und Claudius kann den beiden nicht trauen, da sie ja Freunde Hamlets sind. Ein auswegloses Dilemma.

Doch welche Rolle spielen die Schauspieler, an die Rosenkrantz und Guildenstern auf dem Weg zum Königshof geraten? Tom Stoppard hat in seinem Stück ein hintergründiges Szenario geschaffen, das die beiden Helden, die aus einem modernen Drama Samuel Becketts entsprungen zu sein scheinen, ständig überfordert und an ihre Grenzen führt. Die Schauspieler begleiten, kommentieren, aber fordern auch die Protagonisten heraus. Auf wessen Seite stehen sie? Sind sie mit Hamlet im Bunde? Sind sie diejenigen, die die Handlung als Schauspiel präsentieren, in das Rosenkrantz und Guildenstern mit einbezogen werden? Wie dem auch sei, „Rosenkrantz und Guildenstern“ ist ein Spiel mit vertrackten Wirklichkeitsebenen, mit Fiktion (einer Fiktion) und historischer Realität dazu, das in der Inszenierung von Gabriela Ortega Sanchez und Peter Will bis zum Schluss offen bleibt.

Die Zuschauer verfolgten jedenfalls die knapp 2stündige, aber dennoch kurzweilige Handlung mit Anteilnahme und viel Beifall.

Besonders viel wurde den beiden Hauptdarstellern abverlangt. Neben der gewaltigen Textmenge meisterten sie aber auch die schauspielerischen Herausforderungen mit Bravour. Der ständig hochtrabend daherphilosophierende Rosenkrantz fand in Eric Petzoldt ein erstklassiges Pendant, der mal grübelnd, mal verwirrt, manchmal genervt, dann wieder mit großem Dünkel daherkam, und der eher einfältige, aber dennoch bauernschlaue Rosenkrantz, gespielt von Luis Krummenacher, der souverän die unterschiedlichsten Situationen mit einer unnachahmlichen Mimik und Gestik und vielen spontanen Einfällen würzte, waren ein geniales Gespann, dass von Beginn an die Zuschauer in den Bann zogen. Aber auch die Schauspielerinnen inklusive des entmachteten Schauspielleiters, der von Marvin Fincke mit großen pathetischen Gesten unnachahmlich interpretiert wurde, spielten ihre Rollen glänzend. Besonders eindrücklich waren die pantomimischen Zwischenspiele, die mit lebenden Bildern und einfachsten Mitteln die Geschichte Hamlets illustrierte. Diese ohne große Brüche anschaulich zu vermitteln, war eine schauspielerische Glanzleistung und einer der Höhepunkte des Dramas.

Aber auch der böse König Claudius und seine Frau Gertrude wurden eindrücklich von Verena Kreßler und Charlene Sander dargestellt. Ebenso wie der Hamlet, der von Sinja Hammer ausgezeichnet ausgefüllt wurde. Neben dem berühmten Hamlet-Monolog brillierte sie durch ihre Darstellung der kränkelnden Entschlusskraft, welche die Hamlet-Figur neben dem immerfort wachen Misstrauen ausstrahlte. Auch Polonius, ständig vor allem und jedem buckelnd, wurde von Arne Lange glänzend dargeboten. Vergessen sollte man nicht die kurzen aber eindrücklichen Auftritte des Hofstaats, bei denen Hasret Varan, Jülide Sinanoglu und Sara Steinberger die ständig geschäftigen Kammerzofen, Sina Pieper als Ophelia – einmal mehr grandios in der Opferrolle des gefallenen Mädchens – und die scheinbar freundlichen Verschwörer und Spione am Hof, Horatio (Leon Knublauch) und Fortinbras von Norwegen (Simon Städler) ihre Rollen trefflich darboten.

Dies war die erste Aufführung der Theater-AG in der neu ausgestatteten Turnhalle, die mit Eltern-, Schüler- und Lehrerspenden bereits zu Beginn des Schuljahrs wunderschön mit weinroten und blauen Vorhängen und endlich einer einfach handhabbaren Verdunklungsmöglichkeit ausgestattet worden war. Hier macht es nun noch mehr Spaß zu spielen. Mit der entsprechenden Beleuchtung, die wieder einmal großzügig von der Firma Kunstlicht zur Verfügung gestellt und – in vergleichbarem Umfang – noch zum Ende dieses Schuljahrs mit Geldern des Fördervereins für die Schule angeschafft wurde, sind die Voraussetzungen geschaffen, die Turnhalle in einen würdigen Veranstaltungsort für schulische Konzerte und Schauspieldarbietungen zu verwandeln.

Fotos: Wolfgang Gortzewitz
Text: Peter Will


Die Mitwirkenden

Rosenkrantz Luis Krummenacher
Guildenstern Eric Petzoldt
Schauspieler*innen Marvin Fincke, Leona Domes, Lara Görtz-Mann, Amelie Herrnsdorf, Lisa Jürgens, Dayala Lang, Pina Reinhard
Claudius Verena Kreßler
Gertrude, seine jüngst vermählte Gattin Charlene-Louise Sander
Hamlet Sinja Hammer
Polonius Arne Lange
Ophelia, seine Tochter Sina Pieper
Der Hofstaat Jülide Sinanoglu, Sara Steinberger, Hasret Varan
Fortinbras von Norwegen Simon Städler
Horatio Leon Knublauch
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Licht- und Musiktechnik Jonatan Molinski, Moses Pöhls
Regie Gabriela Ortega Sánchez, Peter Will