Mobbing beenden.

Der Marburger Diplompsychologe zu Gast in der Reformschule Kassel

Es war spannend, dem Diplompsychologen und Lehrer Dieter Krowatschek bei seinem informativen und zugleich unterhaltsamen Vortrag, den er in der Turnhalle der Reformschule über das Thema „Mobbing“ vor etwas 100 Zuhörern hielt, zuzuhören. Denn der Marburger hatte bei dem, was er über Aggression bei Jugendlichen sagte, ein paar unbequeme Thesen im Gepäck. Zunächst betonte er, dass Aggressionen – und in zugespitzter Form natürlich auch Mobbing – ein weit verbreitetes Phänomen sei, vor dem heute keine Schule mehr geschützt sei. Vielmehr nehme das Thema an Bedeutung zu und leider seien auch Schulen, an denen sogar „Soziales Lernen“ institutionalisiert sei, vor Mobbing nicht geschützt. Vielmehr ziehe sich das Phänomen durch alle Schularten und –stufen, wären Jungen und Mädchen gleichermaßen betroffen.

Ohne näher nach den Ursachen dieser Verschärfung der Situation zu schauen – bei der er besonders der zunehmenden Gewalt auf der Seite der Mädchen eine besondere Signifikanz zusprach – kam er auf grundsätzliche Anzeichen zu sprechen, an denen Lehrer und auch Eltern erkennen könnten, wann bzw. dass ein Kind von Mobbing betroffen sei:
So

  • wäre das Kind/der Jugendliche Außenseiter bzw. bliebe es bei Mannschaftwahlen meist übrig;
  • suchte es die Nähe der Lehrkraft;
  • verpetzte es andere bei den Lehrkräften;
  • trüge es oft einen herabwürdigenden Spitznamen;
  • suchte es häufig seine Sachen;
  • hätte es öfter unerklärliche Verletzungen und Prellungen;
  • würde es unsicher und traurig wirken
  • würde es oft fehlen bzw. würde es die Schule unregelmäßig besuchen.

Warnsignale für Eltern seien, dass das Kind

  • keine Freunde habe;
  • sich nicht mit Klassenkameraden treffe;
  • nicht gern in die Schule gehe;
  • über Appetitlosigkeit und Übelkeit klage;
  • schlecht schlafe und Albträume habe;
  • nicht gern allein zur Schule gehe, sondern lieber gebracht werde;
  • Verletzungen habe, für die es keine plausiblen Erklärungen gebe;
  • einen unlogischen Schulweg wähle;
  • zusätzliches Geld verlange oder es gar stehle (um sich freizukaufen);
  • die Schule schwänze;
  • sich zu erzählen weigere, was in der Schule los sei.

Hier seien gut gemeinte Ratschläge der Eltern, wie dass das Kind sich wehren oder gar zurückschlagen solle, keine gute Hilfe, da das Kind es bestimmt schon getan hätte, hätte es Kraft und die Möglichkeit dazu. Auch der Ratschlag den drangsalierenden Schülern einfach aus dem Weg zu gehen, oder einfach die Sache auf sich beruhen zu lassen, spiele die Situation herunter, in der das gemobbte Kind sich befinde.
Wichtig sei, sofort zu handeln, die Aufarbeitung nicht zu verschieben. Krowatschek vertrat den Standpunkt, dass die Lehrkräfte eher dazu geeignet seien, die Konflikte zu bearbeiten, weil Eltern natürlich leichter voreingenommen seien, was nicht immer für die Konfliktlösung hilfreich sei.
Er gab zwei Wege an, wie mit Mobbingvorfällen umzugehen sei:

  1. den klassischen Weg, bei dem ein gemeinsames Gespräch des Opfers mit dem Täter geführt werde, wobei Verharmlosungen des Vorfalls oder ein Leugnen mit Vorsicht begegnet werden sollten. Dennoch sei es wichtig „cool, d.h. sachlich zu bleiben“. Vor allem sollte das Opfer unbedingt weiterhin zur Schule gehen. Das Verhalten dürfe nicht toleriert werden, die Eltern sollten benachrichtigt und eine sinnvolle Strafe verhängt werden, wobei der Täter etwas für andere tun, vor allem aber Verantwortung für das Opfer übernehmen sollte.
  2. der Weg des „No Blame Approach“, dessen Ziel es nicht sei, den Täter zu bestrafen, sondern in zur Verantwortlichkeit gegenüber seinem Opfer zu bringen. Bei diesem Ansatz sei es wichtig, den Täter und sein Opfer nicht zusammenzubringen, sondern beide in jeweils getrennten Schritten anzuhören.

Das weitere Vorgehen gliederte Krowatschek in die folgenden Schritte:

  • Das Opfer bekommt als erstes Gelegenheit, seine subjektive Wahrnehmung dessen, was war, zu schildern.
  • In einem zweiten Schritt wird die Gruppe der Mobbing-Täter zusammengerufen, bei denen die Mitläufer die gleiche Rolle spielen und unbedingt dazugenommen werden sollten. Es sollte bei der Klärung des Vorfalls/Problems deutlich werden, dass die jeweilige Mobbing-Situation untragbar ist und nicht geduldet werden kann.
  • Dafür übernimmt nun die Gruppe die Verantwortung, nachdem sie nach Ideen gefragt wurde, wie solche Konflikte in Zukunft vermieden werden können. Hierbei spielen die Mitläufer als zukünftige „Aufpasser“ eine wichtige Rolle.
  • Schließlich ist – nach einer gewissen Zeit – eine Nachbesprechung mit beiden Parteien angesagt, bei der insbesondere das Opfer danach befragt wird, ob es eine Veränderung der Situation wahrgenommen habe.

Krowatschek wies darauf hin, dass – aufgrund der Tatsache, dass bestimmte Schüler und Schülerinnen immer wieder zu Opfern würden – in einem solchen Nachgespräch evtl. auch problematische Verhaltensweisen des Opfer offen thematisiert werden könnten und manchmal auch sollten.
In der nun folgenden Diskussion mit dem Publikum wurde die Rolle der Eltern noch einmal deutlich thematisiert. Der Marburger Psychologe wies aber deutlich darauf hin, dass die verständliche Besorgnis und das verzweifelte Engagement der Eltern in dieser Situation oft die Auseinandersetzung verkomplizierten. Auch komme diese Vorgehensweise erst dann zum Tragen, wenn das Mobbing bereits einen Höhepunkt gefunden habe. Besser sei es natürlich im Vorfeld im Rahmen von „Sozialem Lernen“ präventiv tätig zu werden. Hierzu gab Krowatschek zu bedenken, dass Schüler verlernt hätten, Konflikte fair auszutragen, weswegen es nötig sei, auch spielerische körperliche Auseinandersetzungen im „Sozialen Lernen“ nicht zu scheuen, ja, sie sogar verantwortlich anzuleiten.
Herr Breitenstein, als Organisator dieser Veranstaltung, die vom Elternbeirat und dem Förderverein der Reformschule finanziert worden war, dankte Herrn Krowatschek für seine interessanten und anregenden Ausführungen.
Anhaltender Beifall.

Bericht von P. Will.