Ein Engel kommt nach Babylon – Dürrenmatts groteske Komödie in der Reformschule Kassel.
Das Scheitern des Turmbaus zu Babel kennt man aus der Genesis, dem 1. Buch des Alten Testaments. Friedrich Dürrenmatt, der Schweizer Dramatiker, dem wir Bühnenklassiker wie Der Besuch der alten Dame und Die Physiker verdanken, erzählt in seiner grotesken Komödie Ein Engel kommt nach Babylon die Vorgeschichte zu jenem rätselhaften Vorhaben Nebukadnezars, des Königs von Babylon.
Die Handlung
Ein Engel, aus unermesslichen Himmelsweiten herniedergestiegen, ist der Überbringer eines Geschenkes an die Menschen: der eben vom Herrn in himmlischer Vollkommenheit erschaffenen Jungfrau Kurrubi. Zugedacht ist sie dem Geringsten der Bettler, Akki von Babylon. Allerdings erringt ausgerechnet König Nebukadnezar von Babylon, als Bettler verkleidet, ihre Liebe.
Das Volk Babylons, von ihrer Schönheit begeistert, fordert die Auserwählte in einem wilden Aufruhr zur Königin. Nebukadnezar jedoch verrät sie der Macht willen. Auch das wankelmütige Volk weicht wieder vor dem Himmelsgeschenk zurück und überantwortet es dem Henker. Zum Glück ahnt niemand, dass Akki, zum Tode verurteilt, sich durch einen raffinierten Trick das Amt des Henkers ergaunert hat und so in die Lage ist, das Himmelskind zu retten, dessen Hilferufe der Himmel/Engel selbst ignorierte.
Was das Stück uns sagen will
In herber Weise hält Dürrenmatt der Gesellschaft den Spiegel vor: dem König, der eigentlich einen neuen vollkommenen Staat erschaffen will, dafür sich aber munter des Henkers bedient, dem Volk, das sich in das Himmelsmädchen verliebt, es gar zur Königin ernennen will. Allerdings verrät das wankelmütige Volk Kurrubi, als es hört, dass das Mädchen eine Bettlerin bleiben will. Denn nur der kann es heiraten, wer selbst bereit ist Bettler zu werden. So weisen alle die „Gnade des Himmels“ zurück. Selbst der Oberpriester Utnapishtim, der seine Theologie für machtpolitische Ränkespiele ausnutzen lässt, und erst recht der Erzminister, der sein Fähnchen in den Wind hängt und auch schon eine republikanische Verfassung zur Hand hat, als das Volk den König stürzen will, vermeiden zu Kurrubi zu stehen.
Einzig Akki, der paradoxer Weise die Welt durch Betteln vom Reichtum erlösen will, bleibt unbeeindruckt von dem Trubel um ihn herum. Er ist der freie Mensch, der sein kann, wer er will, der sich einen „Namen nimmt wie ein Stück Brot“, der zuletzt auch das Himmelsmädchen retten kann, weil er die Freiheit und die Schönheit der Erde liebt, ohne sie sich unterwerfen bzw. seinen Zwecken dienbar machen zu wollen. Man könnte also – und durchaus nicht nur ironisch – sagen: Ihm allein wird die „Gnade des Himmels“ zuteil…
Inszenierung
Das Orchester der Reformschule unter Regina Engelhardt und Arne Siebling kommentierte wie in den vergangenen Jahren das Bühnengeschehen musikalisch, mal illustrierend, mal ironisierend, aber stets hintersinnig und konterkarierend mit Titeln wie ‚How to Tame a Dragon‘ oder bei Edvard Elgars Hymne ‚Land of Hope and Glory‘.
Bei dieser Produktion stellte Tasja Wiesbaum die Bettlerkostüme, Katharina grote Lambers die Hofstaatkostüme und Aglaya Demekhina das Engelskostüm her. Die Acryl-AG unter Leitung von Katharina grote Lambers übernahm die malerische Umsetzung der Prospekte rechts und links der Bühne, sowie die Umsetzung des Bühnenbilds.
Die Tragikomödie Dürrenmatts wurde dreimal vom 3.-5. Mai unter großem Beifall und Lob der Schulgemeinde aufgeführt. Die Zuschauer staunten nicht schlecht, dass die Schülerinnen und Schüler des Orchesters und der Theater-AG in der überwiegenden Mehrzahl im zarten Alter von 10-15 sind – lediglich das Orchester hatte sich mit einer Handvoll Ehemaliger verstärkt – so souverän und spielfreudig bewältigte. Normalerweise wird ein Stück wie Dürrenmatts Ein Engel kommt nach Babylon frühestens in der Oberstufe auf die Bühne gebracht.
Regisseur Peter Will hat dabei einmal mehr die Tradition von Gabriela Ortega-Sanchez, die die Theater-AG von 1998 bis 2011 leitete, weitergeführt, die Theater-AG als Begegnungschance mit großer Literatur zu begreifen, dabei aber eher nicht auf die großen „Hits“ und Bühnenrenner, sondern eher auf unbekanntere Werke zu setzen.
Die Mitwirkenden
Der Engel | 1. Teil: Aglaya Demekhina, 2. & 3. Akt: Chiara Füchsel |
Das Himmelsmädchen Kurrubi | 1. Akt: Franziska Baier; 2. Akt: Enya Birkenwald, 3. Akt: Josepha Strube |
Akki, der Bettler | Marie Haller |
Oliver, sein Lehrling | Johannes Deutschmann |
Nebukadnezar, König von Babylon | Nika Deicke |
Nimrod, Ex-König von Babylon | Alva Goos |
Der Kronprinz, beider Sohn | Jakob Grübbel / am Samstag: Enya Birkenwald |
Erzminister | Berit Wiegand |
Obertheologe Utnapishtim | Paul Hülsmann |
Urgeneral | Leo Gehrke |
Soldaten | Emma Janovsky, Jakobina Werner; Enie Holzhauer |
Polizist | Luisa Rumpel |
Bankier Enggibi | Nele Haller |
Eunuch | Levi Jäger |
Weinhändler Ali | Anna-Lee Leffler |
Hetäre Tabtum und ihre Mägde | Louisa Ehret, Franziska Floren, Franka Horn |
Arbeiter | Marla Baumann, Lilly Weber |
Arbeiterfrauen | Joelle Freres, Ina Hartmann |
Eselsmilchverkäufer Gimmil | Luk Hager |
Dichter | Lucian King, Emma Janovsky, Jakobina Werner, Enie Holzhauer |
Orchester | Lena Landwehr, Helena Adzic, Victoria Reiche Gast, Silva Klages, Hannah Kahl, Madita Werner, Lena Licht, Mattis Pluquett, Lovis Schneid, Franziska Manz, Elisabeth Manz, Friedemann Manz, Rosa Erb, Nora Blumenstein, Rahel Stöver, Tara Neidhardt, Amelie Peitz, Adá Kazak, Benjamin Faust, Joris Pflanz, Klara Kaschlik, Paula Wernicke, , Katja Peters |
Licht- und Musiktechnik | Marius Keil, Erik von Pein, |
Requisiten-, Kulissen- und Schauspielerbetreuung, Aufbau | Karim Boukouh, Tim Drude |
Bühnenbild, Kulissenbau | Katharina grote Lambers |
Kostüme | Katharina grote Lambers, Tasja Wiesbaum |
Plakatdesign | Eberhard Weyel |
Orchesterarrangements und -leitung | Regina Engelhardt, Arne Siebling |
Regieassistenz | Silva Klages |
Regie | Peter Will |
Fotos: Stefan Beckmann