Ein Stolperstein gleich um die Ecke.
Wilhelmshöher Allee 320, gleich um die Ecke von unserer Schule…. Eine Gruppe von SchülerInnen der Stufe III steht vor dem ehemaligen Heim Wolfgang Schönefelds und gedenkt seiner und all der anderen Juden, die im 2. Weltkrieg verfolgt und getötet wurden. So auch Wolfgang Schönfeld. Auf den Gehweg haben die SchülerInnen eine Kerze und eine Rose gestellt direkt neben einer kleinen metallenen Inschrift, die sich mitten auf dem Bürgersteig befindet, ein sogenannter Stolperstein… er soll die Passanten zum stolpern, zum innehalten veranlassen.
Zusammen mit Jochen Boczkowski (Vorstand im Verein Stolpersteine in Kassel e. V. und Zeitzeuge des 2. Weltkrieges) besuchte die IIIe der Reformschule den Stolperstein von Wolfgang Schönfeld. Dort erzählte Jochen Boczkowski den dramatischen Lebenslauf von Wolfgang Schönfeld… trotz Verkehrslärm lauschten die SchülerInnen aufmerksam.
Wer war nun dieser Wolfgang Schönfeld und warum wurde ihm in Kassel ein Stolperstein gewidmet?
„Wolfgang Schönfeld wurde am 30. April 1917 in Kassel geboren. Sein Vater, Hugo Schönfeld, war Jude, seine Frau stammte aus einer christlichen Familie, und ihr Sohn Wolfgang wurde evangelisch getauft. Wolfgang Schönfeld ging in Kassel zur Schule. Nach der Machtübernahme durch die NSDAP im Jahre 1933 wurde die ganze Familie mehr und mehr diskriminiert und verfolgt. Sein Vater musste sein Großhandelsgeschäft verkaufen, und von dem Erlös kaufte er in der Wilhelmshöher Allee 320 ein Haus, in dem die Familie auch noch nach dem Krieg lebte.
Wolfgang Schönfeld machte nach seiner Schulzeit eine Ausbildung zum Technischen Kaufmann. Im Frühjahr 1938 wurde er für ein halbes Jahr zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, und ging im Herbst 1938 dann freiwillig zur Wehrmacht in Hannoversch- Münden.
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde er zunächst als Soldat in Polen und dann in Frankreich eingesetzt. Ende 1940 wurde er, da er als „jüdischer Mischling“ galt, aus der Wehrmacht ausgeschlossen. In Erfurt lernte er dann eine christliche Frau kennen, mit der er sich verlobte. Am 17. Februar 1943 wurde er deshalb von der Gestapo wegen „Rassenschande“ verhaftet und kam zunächst in das dortige Polizeigefängnis. Zwei Monate später, am 23. April 1943, wurde er nach Auschwitz deportiert und dort am 1. Mai 1943 mit der Häftlingsnummer 119 652 registriert. In Auschwitz kam er in das Lager Auschwitz III, wo er als Hilfsarbeiter und Schweißer arbeiten musste. 16 Monate nach seiner Deportation nach Auschwitz, gelang es ihm, von dort zu fliehen und nach Kassel zurückzukehren, wo ihn seine Eltern in einem Schrebergartenhäuschen versteckten. In den folgenden Monaten traf er sich öfters mit seiner Verlobten aus Erfurt, die dazu extra immer nach Kassel reiste.
Am 25. Dezember 1944, als sie wieder einmal zu ihm nach Kassel fuhr, wollte er sie persönlich am Hauptbahnhof abholen. Als er die Bahnhofshalle betrat, wurde dort gerade von der Polizei eine Razzia gegen Schwarzhändler durchgeführt. Wolfgang Schönfeld wurde von einer Streife angehalten und als er versuchte zu fliehen, wurde er auf dem Bahnhofsvorplatz von einem Polizisten durch einen Streifschuss verletzt und verhaftet. Anschließend kam er in das Zuchthaus Wehlheiden. Diese besondere Abteilung wurde und Wolfgang Schönfeld wurde daraufhin zusammen mit elf weiteren Gefangenen auf dem Wehlheider Friedhof am 30. März erschossen. Fünf Tage später, am Mittwoch, dem 5. April, marschierten amerikanische Truppen in Kassel ein, und der Krieg war in Kassel beendet.
Am 17. April wandte sich Wolfgangs Vater an die Militärbehörde und bat darum, den Mordfall näher zu untersuchen und seinen Sohn aus dem Massengrab zu exhumieren. Wolfgang Schönfeld wurde daraufhin am 27. April 1945 auf dem Friedhof Wahlershausen, ganz in der Nähe des Wohnhauses seiner Eltern, bestattet. Später wurde er auf das dortige Bombenopferfeld umgebettet, wo sich sein Grab direkt vor dem großen Gedenkkreuz befindet….“ (Informationen aus: www.kassel-stolper.com/biografien/tabelle-puzstellen-2018)
Doch nun wieder zurück zur Schülergruppe. Nach der Andacht an seinem Stolperstein gingen die SchülerInnen gemeinsam zu seinem Grab auf dem Wahlershäuser Friedhof und tauschten sich über die Schicksale der vielen Bombentoten aus, denen dort ein Denkmal gewidmet ist.
Im Anschluss begleitete Jochen Boczkowsk die Gruppe zurück in die Reformschule. Die SchülerInnen der IIIe hatten dort Gelegenheit ihm noch einige Fragen über seine Kindheit im Krieg zu stellen und am Ende überlegten wir gemeinsam, was das Thema Judenverfolgung eigentlich mit uns heute noch zu tun hat. Leider fielen den SchülernInnen immer noch Beispiele von Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppierungen ein, sei es aus religiösem oder rassistischem Hintergrund.
Wir müssen also auch weiterhin wachsam sein, dass solches Gedankengut keine Chance hat sich durchzusetzen… und das jeden Tag, bei uns in der Schule, im Alltag, in den Medien… So etwas darf es nie wieder geben, da waren sich alle einig!
Jochen Boczkowsk ernannte uns schließlich zum Paten dieses Stolpersteines. Wir werden also in Zukunft dafür sorgen, dass zumindest in der Wilhelmshöher Allee 320 die Passanten regelmäßig zum Stolpern und somit auch zum Nachdenken gebracht werden.
(L. Iltisberger, L. Jäger)